29.06.23
Vom Diplom zum Kreativ-Studio
2012
"Ich leg mich mal kurz schlafen. Weckst du mich in einer Stunde?" Es ist 4:30 Uhr. Das gelbliche Schimmern der Glühlampe, die den rund 10m² großen Raum erhellt, mischt sich mit dumpfem, weiß-grauem Tageslicht. Langsam kriecht das matte Weiß-Grau durch das Fenster und sinkt schwer auf allen Oberflächen im Raum herab. Das Reflektieren des Schnees, der in der Nacht gefallen ist, lässt den Raum jetzt heller wirken. Es ist Winter. Genauer gesagt: Dezember. Erst durch das trübe Tageslicht merke ich nun, wie spät es ist, wie müde ich jetzt werde. Meine Augen werden schwer, während ich den Bildschirm fixiere, der vor mir steht. Ich sitze an einem Tisch, der der den kleinen Raum in zwei Hälften teilt. Vor mir: Mein Laptop. Auf dem Bildschirm des Laptops: Meine Diplomarbeit. Mir gegenüber - ebenfalls in ihre Arbeit vertieft - Jennifer Daniel. Illustratorin. Kommunikationsdesign-Studentin. Diplom Absolventin in spe. Ein bisschen müssen wir wohl noch durchhalten. Im Februar ist es soweit. Abgabe. Auf Jennys Bildschirm schimmern die Entwürfe von "Earth Unplugged". Ein Comic, der ihren Gedanken über die Welt und ihre Ressourcen nachgeht. Die Geschichte, an der Jenny arbeitet, zeigt eine Welt in der es keinen Strom mehr gibt. Dystopie oder Utopie?
Gut, das wir uns das nicht fragen müssen. Gut, das wir hier noch Strom haben. Vor wenigen Wochen bin ich hier, bei meiner guten Freundin, vorübergehend eingezogen. Seitdem teilen wir nicht nur diesen kleinen Raum sondern auch alles andere rund um die Abschlussarbeit: Unsere Tagesabläufe, unsere Mahlzeiten, unsere Sorgen, unsere Erfolge. Oft sind die Tage lang. Oft sind sie gleich. Aber: Es sind gute Tage. Wir sind produktiv. Unterstützen uns. Präsentieren uns gegenseitig unsere Entwürfe. Ermutigen uns durchzuhalten, wenn die Kräfte mal wieder aufgebraucht sind. Hangeln uns von einer Nachtischt zur nächsten und wissen genau: Irgendwann geht auch das vorbei.
Ich klappe den Laptop zu und steige auf die hölzerne Treppe, welche zu einer kleinen Hochbettebene unterhalb der Decke des Raums führt. Zu niedrig um oben aufrecht zu stehen. Perfekt um sich für eine Stunde auszustrecken. Eine kleine, gemütliche Höhle, schwebend über dem Raum. Weit weg von der Arbeit. Draußen fällt der Schnee geräuschlos. Hier drinnen klappert leise der Stift auf Jennys Zeichentablett. "Klar, ich weck dich dann." Mir fallen die Augen zu.
2023
"Guten Morgen. Wie geht's dir?" "Danke, super. Und bei dir?" Ich betrete das gemeinsame Studio von Jenny und mir. 11 Jahre nach unserer gemeinsamen Arbeit an unserem Diplom habe ich wieder das Glück mit Jennifer einen Raum zu teilen. Größer ist er dieses Mal. Ein anderer Stadtteil ist es auch. Noch immer ist es Düsseldorf. Einiges ist gleich geblieben. Viel hat sich verändert.
Nach der Abgabe als Diplom Arbeit findet Jennys Comic "Earth Unplugged" großen Anklang, erscheint im Jaja Verlag. Doch beim Comic bleibt Jenny nicht stehen. Nach einer Festanstellung als Art Directorin macht sie sich auf in die Selbstständigkeit. Gründet mit 6 weiteren Illustrator*innen 2016 das Studio Rabotti. Auch ich habe das Glück dabei zu sein. Es folgen Aufträge für Kunden wie die Wirtschaftswoche, das GQ Magazin oder der WDR. Kein Wunder das Jennys Arbeiten begehrt sind. Da ist ihre moderne Formsprache. Grafische, dynamische Figuren, die lebendige Geschichten erzählen. Leuchtende Farben und schwungvolle Bewegungen. Doch auch die Themen machen die Arbeiten von Jenny sympathisch und einladend zugleich.
"Make Love" eine meiner Lieblingsarbeiten von Jennifer. Die Arbeit ensteht 2020 für den Kalender des JAJA Verlags und zeigt 12 amtierende Staatsoberhäupter. Von Angela Merkel über Wladimir Putin bis hin zu Kim Yong Un und Donald Trump. Staatsoberhäupter. Einige von ihnen: Despoten. Auf Frau Daniels Illustration tragen die dargestellten Politiker jedoch mal keine Differenzen aus. Im Gegenteil. Sie umarmen sich freundschaftlich, zärtlich - Liebespaaren gleich. Ja, sogar Zungenküsse werden hier ausgetauscht. "Make Love" kann man in der der Mitte des Kreises lesen, den die leidenschaftlich interagierenden Figuren formen. Man möchte es den echten Politkern zurufen. 2020. Heute. Immer wieder.
So zeigen viele von Jennys Arbeiten eine Welt des Miteinanders. Menschen im Austausch. Menschen, die sich unterstützen.
Aber auch ernsteren Themen gibt die Illustratorin in ihrem Kosmos Raum. 2021 erscheint ihr Graphic Novel "Das Gutachten" im Carlsen Verlag. Die Graphic Novel erzählt die Geschichte eines alkoholkranken Angestellten der Rechtsmedizin, dessen Welt nach dem Tod einer jungen Frau bei einem Autounfall aus den Fugen gerät. Die spannende Geschichte, welche 1977 in Bonn spielt, handelt von Verantwortung, Verdrängung und dem Vergessen.
Seit 2017 gibt Jenny als Hochschul-Dozentin Kurse an der Hochschule-Düsseldorf. Meist steht dabei das narrative Arbeiten im Vordergrund. Wie entwickelt man eine Geschichte? Was macht gute Charaktere aus? Kürzlich hatte ich die Gelegenheit einer Online-Besprechung beizuwohnen. Jennifer hört zu. Analysiert genau. Fragt nach. Zeigt mögliche Schwachstellen auf. Unterbreitet Verbesserungsvorschläge. Lässt Freiraum. Ermutigt. Man möchte gleich wieder Gasthörer sein.
Ich klappe meinen Laptop auf und beginne zu arbeiten. Leise klappern die Stifte wieder über unsere Zeichentablets.
Durch die weitere Nutzung dieser Website stimmen Sie der Platzierung von Cookies zu. Privacy Policy
Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.