26.03.24
Dirty Deep
Eine Taufe im Blues
Das Wasser ist angenehm kühl. Knapp bis kurz unter meine Knie reicht es und schmiegt sich sanft um meine Beine. Auf dem Grund des riesigen Gewässers ringsum versinken meine Füße hier kaum merklich im Schlamm. Sehen kann ich sie nicht; zu dunkel ist das Wasser. Dumpf und schwarz schluckt es nicht nur meine Füße sondern auch fast jedes Geräusch in dieser Wildnis. Lediglich das vereinzelte Surren einer Mücke kann man vereinzelt vernehmen. Im Kontrast zum kalten Wasser bricht die Nachmittagssonne hell und warm durch die dichten Bäume, die aus dem Wasserlauf in der Ferne herausragen. Funkelnd springt das Licht über das Wasser und streift das Schilf am Rand des Gewässers. Unweigerlich muss ich blinzeln, während ich in das helle Glitzern hineinblicke. Links und rechts von mir stehen, ebenfalls knietief im kühlen Wasser, weitere Menschen. Eine Gruppe von vielleicht 20 oder 30 Personen. Eine bunt gemischt Gruppe. Ein älterer Mann mit Gehstock steht links von mir; eine junge Frau mit kurzen roten Haaren zu meiner Rechten. Mit Sicherheit geben wir alle einen seltsamen Anblick ab während wir stumm in ein und dieselbe Richtung starren. Erwartungsvoll.
Vor uns, von mir keine zwei Meter entfernt, steht eine Band. Breitbeinig positionieren sich dort drei Männer im dunklen Sumpfgewässer; ihre Instrumente halb versunken im selbigen. Kontrabass, Drumset, Gitarre, Mundharmonika finden sich an den drei Männern oder ragen aus dem dunklen, feuchten Element vor ihnen hervor. Nur ihre Instrumente verraten jetzt das Dasein der Dreier-Konstellation als Musiker. Genau so gut könnten Sie sonst wohl jeden anderen erdenklichen Beruf in dieser sonst so trostlosen Gegend ausüben. Ohne Zweifel würden sie auch als Autoschrauber, Fischer, oder als Barkeeper in einer kleinen Kneipe am Straßenrand durchgehen. Basecap, Hut, T-Shirts. Kurzärmlige Hemden, abgerissene Jeans, Bärte und jede Menge Tattoos. Merkmale, an denen man hier in den Sumpfgegenden wohl jeden "Working Man" identifizieren kann.
Plötzlich bewegt einer der Männer, der Schlagzeuger sein Bein — besser gesagt — seinen Fuß und durchtrennt mit der ruckartigen Bewegung die dichte Stille. Während ich noch den Gedanken zu greifen versuche, wie das unter Wasser wohl funktionieren mag, erklingt bereits der satte Sound der Basedrum. Zerreißt die Stille, zerreißt meine Gedankenfetzen. Bahnt sich ihren Weg durch durch das kühle Wasser und durch die drückend warme Luft. Noch einmal ertönt der Klang der Kickdrum. Noch einmal. Noch einmal und noch einmal. Dumpf spüre ich den Bass; gleichzeitig dringt er in meinen Oberkörper, in den Bauch, in meine Ohren. Während die Basedrum sich unnachgiebig wiederholt, legt sich ein neuer Klang hinzu. Einer der Männer mit schwarzem Hut und langem Bart bewegt seine rechte Hand konzentriert über die Seiten seiner Gitarre während seine Linke den Hals des Instruments fest umschließt. Auch dieser Klang erfüllt die knisternde Luft, das dunkle Wasser. Blues-Musik. Warm. Stechend und sanft zugleich.
Kleine Kreise bilden sich nun durch die die Bewegung der drei Musiker und breiten sich im Wasser aus. Immer größer werden sie, erreichen schließlich mich und die anderen um mich herum. Es dauert nicht lange schon beginnen die Menschen Links und Rechts von mir sich im Takt zu bewegen. Wiegen sich hin und her - die Augen geschlossen. Tanzen zurückhaltend. Hier und da blitzt die noch einmal Sonne auf den lächelnden Gesichtern auf bevor sie hinter den Bäumen verschwindet.
Die Musik beginnt sanft. Fast als spräche der Blues mit uns. Ruhig und vorsichtig lockt er die Gruppe, versetzt uns, wie die sachten Wellen in kleine Bewegung. Lange bleibt es nicht so. Immer ausufernder werden die Bewegung der drei Musiker. Wilder und unnachgiebiger bearbeiten sie im Takt ihre Instrumente. Der Blues verwandelt sich zum Bluesrock. Präsentiert sich nun als Feuer, das wild in der hereinbrechenden Dunkelheit lodert. Die Musik faucht und peitscht über das Wasser. Schweiß beginnt den drei Männern an ihren Schläfen herabzurinnen. Befeuchtet ihre T-Shirts und Hemden. Working Men. Der Bluesrock knistert unter ihren Anstrengungen. Nun bäumt er sich bedrohlich auf. Wie ein wildes Tier treiben drei Männer die Musik vor sich her. Entfesseln es nach und nach. Lassen es frei. Stacheln es an, machen es wütend. Bändigen es erneut. Nicht nur die Musik ist ihnen ergeben. Wir, die Gruppe — jetzt eine Herde. Die drei Musiker — nun Hirten. Prediger. Priester. Schamanen. Ganz egal was nun wirklich. Sie hüllen uns ein, treiben uns an. Ihre wilden Bewegungen werden zu unseren. Unmöglich nicht zu tanzen. Auf einmal wird es mir klar: Das ist gar kein Konzert. Wir werden getauft. Getauft in den schmutzigen Gewässern des Blues. Halleluja!
"Hello Düsseldorf. We are Dirty Deep!" Die Ansage von Frontmann Victor zerreißt meinen Tagtraum urplötzlich. Ich blicke mich um. Finde mich wieder in der 1900 Galerie von meinen Freunden Marny und Fabrice, welche die Band eingeladen haben, in ihren Räumlichkeiten zu spielen. Kein Sumpf, kein See, keine Abendsonne. Alles andere ist wahr. Alles andere passiert hier und jetzt, mitten in Düsseldorf und ist einfach wunderbar. Wir, die bunte Gruppe, tanzt. Die drei Männer — Victor, Geoffroy und Adam — bearbeiten ihre Instrumente mit einer Hingabe das wir gar nicht anders können als ihnen zu folgen; uns zu bewegen und mitzusingen. Danke Fabrice, danke Marny. Danke Dirty Deep. Halleluja!
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